Vielleicht hänge ich mich ja manchmal völlig unnötig an Sprache auf. Trotzdem: Das Thema „müssen“ ist mir jetzt doch ein wirklich wichtiges Anliegen. Ich glaube nämlich, dass eine bewusstere Auseinandersetzung mit diesem Wort uns allen sehr viel mehr Freiheit und dadurch Leichtigkeit und Freude bringen könnte.

„Ich muss die Blumen gießen und vorher muss der Rasen noch gemäht werden. Und Aimée, du musst jetzt dringend noch deine Vokabeln lernen.“ Solche Sätze habe ich in meiner Kindheit ständig gehört. Gefühlt ging es immer darum, wer was MUSS. Meine Reaktion auf diese „Muss-Sätze“ war auch stets die gleiche: Trotz. Wie von Geisterhand formulierten sich in meinem Kopf Sätze wie: „Gar nix muss ich. Nur sterben. Und vielleicht essen und so…“ oder „Nix muss, alles kann.“ oder „Auf gar keinen Fall!“ und dann suchte sich etwas in mir einen Ausweg aus dem vielen Müssen: Ich stellte mich taub, schlafend oder arbeitend, wenn ich mal wieder was müssen musste.

Auf „müssen“ folgen Trotz und Verweigerung

Jahre später verstand ich erst über den Trotz, mit dem meine eigenen Kinder auf meine „du musst“-Aufforderungen reagierten, dass ich in eine ähnliche Falle getreten war wie meine Mutter: Ich versuchte, Druck auf meine Kinder auszuüben. Um dann festzustellen, dass Druck immer nur Gegendruck erzeugt – und selten von Erfolg gekrönt ist. Dabei hätte ich das durchaus schon viel früher merken können. Denn ich selbst trieb mich gnadenlos an, indem ich mich permanent mit diesen „ich muss dies“- und „ich muss das“-Sätzen vorwärtspeitschte. Wenig überraschend: Auch auf meine eigenen kompromisslosen, fordernden, ja sogar drängelnden Selbstgespräche reagierte ich kaum anders als auf die Aufforderungen meiner Mutter früher: Ich machte es einfach nicht. Und fand Ausreden.

Solche „Ich muss“-Selbstgespräche verlaufen in der Regel leider auch heute noch manchmal so: „Heute musst du die Buchhaltung machen, Aimée. Das machst du als Allererstes. Das MUSS jetzt sein. Ganz egal, ob du willst oder nicht. Du MUSST das heute erledigen!“ Und was passiert dann in der Realität? Ich mache es einfach nicht. Weil in meinem Kopf direkt eine zweite Stimme auftaucht und die leise und trotzig sagt: „Nix müssen wir. Gar nix.“ Und dann kommt eine dritte Stimme und die macht mir verlockende Angebote, von denen ich mich nur allzu gerne verführen lasse: „Komm, trink doch erst mal einen Kaffee und dann holst du in Ruhe die Post …“ So können gut und gerne zwei Tage ins Land gehen, bis die Aufschieberitis ein Ende findet.

Habe ich eine Lösung gefunden? Yessss …

Um gar nicht erst in die Drückebergerei zu verfallen, habe ich eine Lösung gefunden: Im ersten Schritt habe ich einfach nur beschlossen, sehr achtsam zu sein, damit ich sofort bemerke, wenn ich das Wort “müssen“ verwende. Im nächsten Schritt halte ich kurz inne und suche nach liebevolleren Formulierungen, die mir mehr Wahlfreiheit lassen.

Ich will oder kann statt ich muss

Konkret könnte mein neues inneres Selbstgespräch dann so lauten: „Aimée, wann wollen wir denn die Buchhaltung machen? Vielleicht gleich nach dem ersten Kaffee?“. Und wisst ihr was? Tatsächlich ist meine Reaktion – nur aufgrund der Formulierung – plötzlich eine ganz andere. Denn meine zweite innere Stimme geht nicht in den Widerstand und sucht nach Ausflüchten, sondern sagt: „Oh, coole Idee, dann haben wir das schon mal hinter uns und können den Tag genießen.“

Übrigens ist es mir sogar tatsächlich auch gelungen, meine Mutter, die vor kurzem 80 Jahre alt geworden ist, für dieses Thema zu sensibilisieren. Als sie mir vor kurzem am Telefon mal wieder aufzählen wollte, was sie noch alles tun müsse, unterbrach sie sich plötzlich selbst und formulierte neu: „Ach, fast schon wieder vergessen: ich will gleich noch kurz den Rasen mähen – und nicht ‚ich muss‘. Stimmt schon: können fühlt sich besser an als müssen“, so auch ihr Fazit.

Und gleichzeitig ist es irre schwer, sich kognitiv umzustrukturieren. Das weiß sicher kaum jemand besser als ich. Als ich nämlich neulich bei meinen Nachbarn war, ertappte ich mich direkt dabei, wie ich sagte: „Ich muss jetzt aber langsam mal wieder rüber.“
Tja, so ist das eben: Die Erkenntnis ist eine Sache. Die wirklich nachhaltige regelmäßig Umsetzung eine andere 😉 .

Von Aimée Bastian, Unternehmerin & Coach in Düsseldorf
Kontakt: www.familiencoaching-nrw.de

Die Welt mit #Licht und #Liebe fluten – indem ich mir und anderen weniger Druck mache.